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Schattenseiten des Lebens

Ein Gastbeitrag aus dem FC Bayern Magazin 51.

Seine Abschlussreise als Präsident des FC Bayern war für Uli Hoeneß noch einmal eine besondere. Wenige Tage vor seinem Rückzug saß er in Hannover als Gast bei einer Podiumsdiskussion anlässlich des zehnten Todestags von Robert Enke neben Teresa Enke auf der Bühne. „Wir sollten uns alle immer bewusst sein, dass viele Menschen zerbrechlicher sein können, als wir denken“, sagte er.

Der Saal ist leer, die Scheinwerfer werden nach und nach ausgeknipst. So ein Theater hat eine ganz eigene, diffuse Atmosphäre, wenn eine Vorstellung erst einmal vorbei ist. Uli Hoeneß steht in der Kulisse hinter der Bühne, jemand hat ihm eine Flasche Bier organisiert. Michael Sternkopf ist bei ihm, die beiden stecken die Köpfe zusammen. Der einst unter Depressionen leidende Ex-Bayer erzählt Hoeneß seine Geschichte. Vorne auf der Bühne gibt Teresa Enke Interviews. Gerade ist die Podiumsdiskussion anlässlich des 10. Todestages von Robert Enke zu Ende gegangen.

Es ist an diesem herbstlichen Novemberabend auf ihre Art eine ziemlich schöne, treffende Momentaufnahme, die Szenerie im Theater am Aegi in Hannover: Fußball, das ist Bühne, natürlich, Rampenlicht, Scheinwerfer, Publikum – doch Fußball, das ist auch Abseits, Halbschatten, Dunkelheit. Teresa Enke hat auf der Podiumsdiskussion einmal mehr mit Nachdruck erklärt, ihr Mann sei nicht wegen der harten Branche an Depression erkrankt. Und dennoch hat sie während der Veranstaltung einen bemerkenswerten Satz gesagt, der nachdenklich stimmt: „Der Fußball wird immer so bleiben. Der Fußball ist so, und die werden sich nie mit Wattebällchen beschmeißen.“

Uli Hoeneß hatte sich über die Einladung als einziger Gesprächspartner für die Podiumsdiskussion gewundert. Doch der handgeschriebene Brief von Teresa Enke, der ein paar Wochen zuvor am Tegernsee angekommen war, berührte ihn und seine Frau Susi („sie sortiert bei uns zuhause die Post“) so, dass sich beide einig waren: Das kann man nicht ausschlagen. Hoeneß sei ihr ausdrücklicher Wunschkandidat gewesen, erklärt die Gastgeberin den 1.200 Theaterbesuchern. „Mir sind nur wenige Menschen bekannt, die sich so schützend vor ihre Mitarbeiter stellen – egal, ob Zeugwart oder Weltklassespieler. Aus Gesprächen mit Robert weiß ich, dass ihm das immer imponiert hat.“

Wie alle Anwesenden lässt Hoeneß der NDR-Film „Auch Helden haben Depressionen“, der an diesem Abend gezeigt wird, nicht kalt. „Es ist wichtig, dass jeder von uns seinen Beitrag beisteuert, um die Volkskrankheit Depression zu enttabuisieren“, sagt er, „Frau Enke leistet da mit ihrer Stiftung großartige Arbeit.“ Er erinnere sich noch zu gut an die Leidensgeschichte von Sebastian Deisler. Der ehemalige Nationalspieler hatte 2007 seine Karriere beim FC Bayern mit 27 Jahren wegen Depressionen beendet. Hoeneß hatte damals alles versucht, um das Ausnahmetalent zum Bleiben zu überzeugen. Am Ende bekam Deisler sogar einen offenen Vertrag angeboten, er hätte jederzeit wieder einsteigen können. Doch er kehrte dem Fußball für immer den Rücken.

Im Wintertrainingslager in Dubai hatte Deisler damals jeden Abend gegen 22 Uhr bei Hoeneß angerufen, ob er ihn in seinem Zimmer besuchen könne. „Er hat immer ein Bier getrunken, und einmal haben wir bis halb fünf Uhr morgens geredet, bis ich sagte: ,Sebastian, ich muss jetzt etwas schlafen – du kannst dich gerne hier in meinem zweiten Schlafzimmer hinlegen, dann bin ich in deiner Nähe.‘“ Um halb 9 wachte Hoeneß auf, „da lag Sebastian schlummernd in diesem Bett. Ich habe ihn geweckt und gesagt, um 9 Uhr sei Frühstück, er solle doch mal runterschauen.“ An diesem Tag trainierte Deisler wie ein Besessener. „Ich dachte mir, jetzt haben wir es geschafft.“ Doch keine 24 Stunden später rief Deisler an: „Herr Hoeneß, ich kann nicht mehr. Es geht nicht mehr.“

In der heutigen Zeit, meint Hoeneß später beim Gespräch in der Theaterkulisse, „wird in vielen Bereichen des Lebens zu respektlos miteinander umgegangen, nicht nur im Fußball“. Deisler hatte sich später einmal für einen Besuch am Tegernsee angekündigt; er wollte sich bedanken und verabschieden. Ein paar Stunden vor dem Treffen sah Hoeneß den jungen Mann zufällig auf einer Bank am Seeufer sitzen. Es stellte sich heraus, dass Deisler schon zwei Tage vorher angereist war, um Kraft für das Treffen zu sammeln. „Ich finde“, sagt Hoeneß, „wir sollten uns alle immer bewusst machen, dass viele Menschen zerbrechlicher sein können, als wir denken.“ Die Scheinwerfer sind aus. Doch dieser Satz geht selbst im diffusen Halbdunkel der Theaterkulissen nicht verloren.

 

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