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Mit Toren von Andrés Iniesta über Depressionen aufklären

Seit drei Jahren halten der ehemalige Fußballprofi Martin Amedick und Roberts Biograf Ronald Reng für die Robert-Enke-Stiftung Vorträge zur Depressions-Aufklärung. In einem Gastbeitrag, den wir mit freundlicher Genehmigung der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ veröffentlichen, schildert Reng ihre Arbeit:

Wenn Martin Amedick und ich über Depressionen reden, zeigen wir als allererstes ein wunderschönes Tor. Martin drückt auf die Fernsteuerung, und auf der Leinwand erscheint Andrés Iniesta, einer der allergrößten Fußballer unserer Zeit. Iniesta, schon im gegnerischen Strafraum, trifft den Ball mit Außenrist, und der Ball fliegt so wunderschön, genau in den Torwinkel. Iniestas Tor in letzter Sekunden bringt den FC Barcelona gegen den FC Chelsea ins Finale der Champions League 2009. Das Video endet mit Iniestas glücksverzerrtem Gesicht in Großeinstellung. Dann spreche ich in die gespannte Stille des Konferenzraums: „Vier Wochen nach diesem Tor litt Andrés Iniesta an einer depressiven Verstimmung.

Seit drei Jahren halten Martin Amedick, der ehemalige Kapitän des 1. FC Kaiserslautern, und ich Vorträge zur Aufklärung über seelische Erkrankungen in den Nachwuchsleistungszentren der deutschen Profiklubs. Martin litt selbst einmal an einer Depression, damals 2011 in Kaiserslautern. Mit Iniestas Tor beginnen wir unseren Vortrag, um deutlich zu machen: Depressionen sind nicht eine Schwäche von irgendwelchen Losern – Depressionen sind einfach eine Krankheit, für die es genetische Gründe gibt, und die deshalb, genau wie Krebs, jeden treffen kann, auch die Stärksten, Besten. Rund fünf Millionen Deutsche erkranken jährlich an Depressionen, Handwerker, Steuerberater und natürlich auch Profifußballer. Die meisten kehren wie Martin Amedick nach ihrer depressiven Episode ins normale, gesunde Leben zurück. In den wenigsten der Fälle treibt die von der Krankheit gestörte Wahrnehmung, die gefühlte Aussichtslosigkeit, Depressive in den Suizid; so wie am 10. November 2009 den Fußball-Nationaltorwart Robert Enke.

Ich kannte Robert gut, wir waren gerne zusammen. Er war ein Torwart, der sich für Journalismus interessiert, ich war ein Autor, der in der Freizeit gerne Torwarthandschuhe trug. Von Depressionen verstand ich nichts bis zum Tag, als er starb. Ich begann, seine Tagebücher zu lesen, ich sprach tagelang mit seiner Frau Teresa, mit Psychiatern, um zu kapieren, was passiert war, und irgendwann erschien mir das wie Roberts letzter Auftrag an mich: Erkläre den Leuten Depressionen!

So schrieb ich Martin Amedick einen Brief, ob er bereit sei, mit mir über seine frühere Krankheit aufzuklären. Denn wenn nun anlässlich seines zehnten Todestags permanent die Frage gestellt wird: „Was hat sich durch Robert Enkes Tod verändert?“, dann kann die Frage doch nur meinen: Hat sich die Aufklärung und die Behandlung von psychischen Krankheiten verbessert?

Die Leute bringen etwas durcheinander, wenn sie ständig davon reden, im Profifußball, überhaupt in der Gesellschaft müsse verständnisvoller miteinander umgegangen werden, „damit so etwas wie mit Robert Enke nicht mehr passiert“. Ich habe sicher nichts dagegen, wenn wir netter zueinander sind. Aber Robert Enke starb nicht, weil ihn der Druck des Fußballbusiness belastete. Er starb, weil er eine Krankheit hatte, die sein Denken vorübergehend biochemisch störte und ihn alles schwarzsehen ließ.

Die Idee, dass der Profifußball an einem Mangel an Menschlichkeit kranke, rührt vor allem von der Trauerrede her, die der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger vor zehn Jahren für Robert Enke hielt. „Ein Stück mehr Menschlichkeit, ein Stück mehr Zivilcourage, ein Stück mehr Bekenntnis zur Würde des Menschen, des Nächsten, des anderen. Das wird Robert Enke gerecht“, sagte Zwanziger damals, und sehr viele fühlten, der Präsident spreche aus ihren Herzen: Von Roberts Tod berührt, wollten wir alle gerne bessere Menschen sein. So gut gemeint Zwanzigers Rede auch war, so fatal war sie doch für den Kampf gegen Depressionen: Es verbreitete sich der diffuse, falsche Eindruck, wenn wir doch alle nur netter zueinander wären, würde es keine Depressionen mehr geben. Was seelisch Erkrankte aber tatsächlich brauchen, ist keine Wischiwaschi-Betroffenheit, sondern konkrete medizinische Hilfe. Und hier, denke ich, hat sich nach Roberts Tod tatsächlich etwas zum Besseren geändert, gerade im Sport.

Roberts Frau Teresa hat als Vorsitzende der Robert-Enke-Stiftung Dutzende Initiativen vorangetrieben hat, etwa eine Hotline für Menschen, die bei sich oder Verwandten psychische Probleme vermuten. Carsten Linke, ein ehemaliger Fußballer von Roberts letztem Verein Hannover 96, arbeitet heute als Sporttherapeut mit seelisch Erkrankten im Klinikum Wahrendorff. Roberts Psychiater half federführend mit, ein Netz von über 70 Sportpsychiatern in Deutschland aufzubauen. Das sind einige von vielen kleinen Schritten, die helfen, Depressionen genau wie Krebs unverkrampft, selbstverständlich als Krankheit zu behandeln.

So reisen auch Martin Amedick und ich weiter. Wir waren bereits bei gut 30 Klubs, bei großen wie Bayern München und kleinen wie Kickers Offenbach. Einige, wie der 1. FC Kaiserslautern, haben kein Interesse an unserem Vortrag. Andere wollen, dass wir jedes Jahr kommen, um auch die nächste Jugendmannschaft zu sensibilisieren. Wenn Martin Amedick erzählt, wie er, der starke Kapitän, in seiner depressiven Phase beim 1. FC Kaiserslautern nicht einmal mehr in der Lage war, seine Sporttasche zu packen, dann wird auf ergreifende, anschaulichste Weise deutlich, dass Depressionen einfach eine schwere Krankheit sind. Am Ende unseres Vortrags zeigen wir wieder ein Video von einem Tor. Es demonstriert, dass die Krankheit meistens heilbar ist. Ein Jahr nach seiner depressiven Episode machte Andrés Iniesta mit seinem Tor im WM-Finale 2010 Spanien zum Weltmeister.

Zur Person:

Ronald Reng ist ein deutscher Sportjournalist und Buchautor. Im Jahr 2010 schrieb er in Zusammenarbeit mit Teresa Enke die Robert-Enke-Biografie Robert Enke. Ein allzu kurzes Leben.  Der Traumhüter, Mroskos Talente, Spieltage und Miro sind weitere prämierte Bücher. Reng ist Anhänger von Eintracht Frankfurt und engagiert sich ehrenamtlich als Kuratoriumsmitglied für die Robert-Enke-Stiftung.

  

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