
Ein Gastbeitrag von kicker-Redakteur Michael Richter
„Die Bleiweste, die ich vor Beginn des Programms überstreife, ist echt. Und schwer. Ich klemme den Kopfhörer um meinen Nacken, setze die Brille auf und ziehe nun die Hörer über die Ohren. Im virtuellen Foyer der Ausstellung „Impression Depression“ begrüßt mich die Stimme der Moderatorin und gibt mir Anleitungen, was ich tun soll.
Ich bin skeptisch, aber auch erwartungsvoll. Auf den zwei Tischchen vor mir liegt rechts ein Smartphone. Links ein paar Torwarthandschuhe mit einem Aufdruck: „Enke“. Ich fokussiere sie mit meinen Augen und finde mich plötzlich in der luxuriös ausgestatteten Kabine der deutschen Nationalmannschaft wieder. Ringsum hängt die Kleidung für die Spieler bereit, neben mir auch meine: Das grüne Torwarttrikot mit der „1“ und dem Namenszug „Enke“. Auch die Torwarthandschuhe sind wieder da. Eine Stimme haucht mir schlaff und monoton meine Gefühle und Gedanken in den Gehörgang. „Warum sitze ich hier überhaupt?“ Pause. „Ich fühle mich so schlapp.“ Pause. „Mir tut einfach alles weh. Wie soll ich gleich so spielen?“
Ein Nationalspieler und besonderer Weggefährte kommt hinzu. „Robbi, alles klar bei dir? Du siehst müde aus! Komm, gemeinsam schaffen wir das“, sagt er. Meine Reaktion jedoch: „Ich muss mich zusammenreißen und irgendwie dieses Spiel überstehen…“
Die Kabine verwandelt sich zum düsteren Tunnel. Schwer und bedrohlich rücken mir Betonwände buchstäblich auf den Leib. Die Bleiweste auf meinen Schultern wirkt auf einmal noch schwerer. Das kleine, schummrige Licht ganz hinten nehme ich kaum wahr. Dann wieder meine Stimme auf dem Kopfhörer, diesmal visuell begleitet mit Begriffen, die mir aus dem Dunkel gnadenlos ins Auge flimmern. „müde“ – „Angst“ – „unglücklich“ – „gefühllos“ – „hoffnungslos“. Schließlich die verzweifelte Frage mit der selbst gegebenen Antwort: „Wo soll das enden? Ich werde aus diesem Loch nie wieder rauskommen.“ Vor mir leuchtet das Wort: „Versager“.
In diesem Moment an etwas Positives zu denken, fällt mir, dem Probanden, ausgesprochen schwer. Denn die trüben Gedanken kommen wieder auf das Ohr, die Schlagworte leuchten aus dem Schwarz, in das ich blicke, wieder auf. Es wirkt, als könne man diesen Einflüssen nicht entfliehen.
Kurz darauf finde ich mich in der Mannschaftskabine wieder. „Zum Glück ist das Spiel vorbei und ich habe es geschafft, nicht aufzufallen“, höre ich meine Gedanken. „Ich spüre einfach nichts mehr. Keine Nervosität. Keine Freude. Nichts. Alles egal, auch das Ergebnis.“
Die Kollegen sind schon weg. Per Sprachnachricht meldet sich Teresa Enke und fragt, wo ich bleibe. Ich hätte doch wieder „super gespielt“, sagt sie… Doch die Stimme aus dem Kopfhörer hält unerbittlich meine Gemütslage dagegen. „Es ist alles sinnlos, ausweglos. Ich habe das Gefühl, als würde mir alles entgleiten.“
Dann wechselt die Szenerie. Ich sitze wieder im freundlich gestalteten Foyer der Ausstellung, dem Ausgangs- und Endpunkt meiner Erfahrungstour. Ich sehe auf einer großen Leinwand eine bunte Bildershow. Sie zeigt glückliche Menschen in unterschiedlichen Situationen. Die Bleiweste, die ich noch trage, wird leichter, jedenfalls gefühlt. Etwas erleichtert, wieder im „normalen“ Leben zu sein, bin auch ich. Und beeindruckt.“
Das Projekt „Impression Depression“ geht von November an auf Deutschland-Tour. Weitere Informationen und Voranmeldungen sind unter „impression-depression.com“ möglich.
Am 10. November jährt sich der Todestag Robert Enkes zum zehnten Mal. Seit dem Suizid des ehemaligen Nationaltorhüters bemüht sich die Robert-Enke-Stiftung unter anderem um Aufklärung rund um das Thema Depression. Anlässlich des Jahrestages präsentiert sie eine Virtual-Reality-Erfahrung „Impression Depression“, in der von der Krankheit nicht betroffene Menschen einen künstlichen Einblick in die Erlebnis- und Gedankenwelt eines depressiv kranken Menschen erhalten. Ziel ist es, anhand einer Alltagssituation oder der Situation eines Leistungssportlers das Bewusstsein und die Wahrnehmung von Depressionen als eine psychische Krankheit zu verbessern, bedrückend und zugleich beeindruckend. kicker-Redakteur Michael Richter probierte das „Kino im Kopf“ aus.
Zur Person:
Michael Richter, *02.12.1965, selbst einst aktiver Torwart, unter anderem ein Bundesligaspiel für Arminia Bielefeld (1984). Seit 1996 arbeitet er als Redakteur beim kicker, inzwischen Leiter der Regionalredaktion Nord.
In den Jahren 2006 und 2009 zeichnete Richter für das Sportfachmagazin kicker den besten Torwart der Bundesliga aus: Robert Enke.
Sehr geehrte Frau Enke, ich finde es großartig das sie diese Stiftung vor ca 10 Jahren ins Leben , welch ein Wort, gerufen haben.
ich leide seit mehreren Jahren an Depressionen und die Selbsterfahrungen von Herrn Richter treffen bei mir eins zu eins zu. Die Bleiweste, das Gedankenkino, das abwerten meiner eigenen Person, Gefühllosigkeit ,weder Freude noch Schmerz. All das sind alltägliche Begleiter eines depressiven Menschen. Keiner Person, die an Krebs oder an sonst einer lebensbedrohlichen Krankheit leidet würde man sagen“Komm schon reiß dich zusammen . Was jammerst du. Du hast doch alles,ein Haus ,Geld ,eine schöne Frau und gesunde Kinder“ Viele Menschen trauen sich nicht offen darüber zu sprechen, weder in der Familie noch im Freundeskreis,noch in der Arbeit. Ja sie gestehen es sich nicht einmal selbst ein . Vermutlich , aus Scham oder Angst ausgegrenzt und ausgelacht zu werden
Ich würde mich sehr freuen, und finde es dringend Notwendig,wenn durch ihr Engagment diese hinterhältige Krankheit aus seinem Schattendasein in den Fokus der Öffentlichkeit kommt.
alles gute für sie und ihre Stiftung. mit freundlichen Grüßen
Klemens Huber
Das ist eine super tolle Aktion. Die meisten Menschen haben von Depressionen keine Ahnung, und oder wollen sich damit auch nicht beschäftigen. Die Angst , die Robert Enke hatte, was wohl passieren würde wenn das raus kommen könnte, kann ich verstehen. Seit 2007 leide ich unter Depressionen, und war schon zweimal ganz knapp davor mir das Leben zu nehmen. Ich habe auch immer Mal wieder diese Gedanken. Ab dem 12.11. gehe ich in Stationärer Behandlung.
Diese Aktion sollten sich alle ansehen, damit endlich mehr Verständnis in die Köpfe unserer sehr oberflächlichen Gesellschaft kommt. Eins möchte ich noch los werden. Depressionen ist ein völlig anderes Krankheitsbild, als Burn Out . Beide Erkrankungen sind von übeler Natur, aber überhaupt nicht vergleichbar.
Danke liebe Frau Enke, für ihre Stiftung.
Mit freundlichen Grüßen
Ich habe vor einigen Jahren im Landesmuseum in Hannover in der Ausstellung über Robert Enke eine ähnliche Erfahrung gemacht. Dort war es „nur“ ein schmales Zimmer, das ich mit der Bleiweste betreten habe. Die Stimme hat mir immer wieder über den Kopfhörer ähnliche Sätze wie in dem Bericht von Michael Richter gesagt. Nach einer gefühlten langen Zeit wurde ich angewiesen, zu einem Tisch zu gehen. Dort lag ein Block und ein Stift, und ich sollte notieren, was mir an diesem Tag schon Positives widerfahren ist. Ich wusste es genau, bin aber beim Versuch, es aufzuschreiben, immer wieder mit dem Stift weggerutscht- es war eine krakelige, unruhige und schiefe Schrift, die am Ende auf dem Blatt zu sehen war. Es war eine bedrückende und auch beeindruckende Erfahrung, die mir zum 1, Mal eine Idee davon vermittelt hat, wie es jemandem mit Depressionen gehen kann. Ich hoffe, dass mich das für meine Umgebung noch etwas sensibler und aufmerksamer gemacht hat. Die Arbeit der Stiftung ist absolut wichtig und notwendig- danke dafür!